Mit dem Angehörigenentlastungsgesetz sollen Kinder, deren Eltern pflegebedürftig sind, finanziell entlastet werden. Zentral ist dabei die Regelung, dass ein Unterhaltsanspruch gegenüber den Kindern erst dann auf das Sozialamt übergeht, wenn das Kind über ein Bruttoeinkommen von mehr als 100.000 Euro jährlich verfügt.
Seit der Einführung des Gesetzes besteht jedoch Unsicherheit darüber, wie hoch der Selbstbehalt für unterhaltspflichtige Kinder ist, die diese Einkommensgrenze überschreiten. Vor Einführung des Gesetzes war der Selbstbehalt klar definiert (2.000 Euro für Alleinstehende und 3.600 Euro für Ehepaare). Die aktuellen Leitlinien lassen jedoch Raum für Interpretationen und verweisen lediglich darauf, dass ein „angemessener Eigenbedarf“ zu belassen ist, der dem Zweck und Rechtsgedanken des Angehörigenentlastungsgesetzes Rechnung tragen soll.
Die Sozialämter halten häufig an den alten Zahlen fest, was in der Praxis zu Diskrepanzen führt. Das Oberlandesgericht München hat nun in seinem Beschluss vom 6. März 2024 (2 UF 1201/23 e) erstmals nach der Gesetzesänderung Stellung genommen und eine neue Auslegung des Selbstbehalts vorgeschlagen. Es empfiehlt, den Selbstbehalt auf ein Niveau anzuheben, das dem durchschnittlichen Nettoeinkommen bei einem Bruttoeinkommen von 100.000 Euro entspricht, also zwischen 5.000 und 5.500 Euro monatlich.
Für Alleinstehende wird der Selbstbehalt auf 5.500 Euro netto festgelegt. Diese Anpassung bedeutet, dass das gesamte Einkommen oberhalb dieses Selbstbehalts potenziell für den Elternunterhalt eingesetzt werden könnte, ohne dass wie bisher eine Erhöhung des den Sockel-Selbstbehalt übersteigenden Einkommens um die Hälfte vorgesehen ist.
Das Gericht stellt auch in Frage, ob die bisher unterhaltsrechtlich relevanten Abzüge weiterhin berücksichtigt werden können.
Es legt nahe, dass angesichts des großzügigen Selbstbehalts vom Unterhaltspflichtigen erwartet werden kann, seinen Lebensstandard entsprechend anzupassen und keine weiteren Abzüge für Kreditraten, Wohnvorteile, Mietbelastungen oder Ähnliches geltend zu machen. Allerdings betont das Gericht weiterhin die Bedeutung der privaten Altersvorsorge, insbesondere in Form von Lebensversicherungen, als zwingende Maßnahme angesichts der Defizite der gesetzlichen Rentenversicherung.
Diese Entscheidung könnte, wenn sie Bestand hat, die Berechnung des Elternunterhalts grundlegend verändern und stellt eine wesentliche Neuerung in der Handhabung des Elternunterhalts dar. Die Entscheidung ist allerdings noch nicht rechtskräftig. Die Rechtsbeschwerde wurde beim Bundesgerichtshof unter dem Aktenzeichen XII ZB 148/24 eingelegt.
Für weitere Informationen zum Elternunterhalt oder eine Beratung in ähnlichen Angelegenheiten stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung.